Auslandseinsatz Afghanistan

Ein Erlebnisbericht aus dem 18. DEU Einsatzkontingent
Resolute Support Mission (RSM)

Werte Kameraden! Am 23. Juni habt Ihr uns im Rahmen der Übergabe des „Gelben Bandes“ in unserem Eutiner Kasino mit den besten Segenswünschen in den Einsatz nach Afghanistan verabschiedet. Mit den folgenden, kurzen Episoden aus unserer Einsatzzeit wollen wir unsere Erfahrungen mit Euch teilen und sich den Kreis schließen lassen. Denn wie heißt es dieser Tage so schön: gemeinsam rein, gemeinsam raus! Viel Freude beim Lesen.

07.07.2020, ca.15:00 Ortszeit Hannover-Langenhagen
Der Einsatz beginnt – fast! Denn in 2020 wirkt sich die CoVID-19-Pandemie selbstverständlich auch massiv auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr aus. Für uns bedeutet das zum einen, dass wir anstatt mit „elf Mann“ nur zu sechst in den Einsatz verlegen, da sich auch im Camp Marmal ordentlich sozial distaniziert wird. Zum anderen begeben wir uns vor Abflug nach Afghanistan in 14-tägige Quarantäne in das Leonardo Hotel Hannover Airport. Mit Blick zurück auf diese Zeit bleiben nur folgende Worte Ludwig Thomas in unserem Gedächtnis: „Ein Berg über den wir hinüber mussten, sonst wäre der Weg nicht weitergegangen.“

23. Juli 2020, 08:00 Uhr Ortszeit MeS
Wir sitzen im Besprechungsraum. Erste Kurzeinweisung durch die Vorgänger in die derzeitige „(Sicherheits)Lage im Raum“. Wie nicht anders erwartet und wie auch Ihr der Presse und den Medien entnehmen könnt, ist die Lage nun mal so, wie sie in einem Krisen- und Kriegsgebiet immer ist – bescheiden. Klar ist also, langweilig wird es uns nicht werden.
Im Anschluss an diese „Morgenlage“, von uns auch MoLa genannt, krempeln wir bei knapp über 40 Grad im Schatten die Ärmel hoch und gehen ans Werk! Die Übergabe steht an. Wir zählen, prüfen und übernehmen zunächst viel Material. Das ist sehr deutsch aber tatsächlich auch sehr richtig und wichtig. Denn dazu zählen Fahrzeuge, Handwaffen, mehrere zehntausend Patronen verschiedenster Munitionssorten und anderer Kampfmittel. Und natürlich Computer, Monitore, Mäuse, Tastaturen, Laptops, Beamer, Telefone und so weiter und so fort. Ohne die moderne Technik geht auch hier… NIX! Drei Tage kostet uns das, im Hintergrund läuft parallel das Hintergrundrauschen unserer eigentlichen Arbeit weiter.
Zu dieser spannenden aber auch sehr fordernden Zeit, in der eigentlich keiner vor 24 Uhr zum Schlafen kommt, gehört natürlich auch die fachliche Arbeit zu übernehmen. Das tun wir. Und lernen kennen was es heißt in Zeiten von CoVID mit menschlichen Quellen aufzuklären. Die Schutzmaßnahmen sind teilweise irre, aber auf jeden Fall auch gerechtfertigt. Denn wir wollen auf keinen Fall zum „Super-Spreader“, Patienten Null oder der Keimzelle für einen Virusausbruch im Camp werden!

16. August, 08:30 Ortszeit MeS
Wir melden uns bei der taktischen Operationszentrale ab und starten raus aus dem Camp Richtung MeS Innenstadt. Links, rechts, vor, zurück! Der Verkehr ist…mindestens spannend! Die Fahrer kommen ins Schwitzen. Im Allgemeinen ist die Lage aber zu managen. Warum machen wir das fragt ihr euch? Um unseren sogenannten Einsatzraum kennenzulernen, ein Gespür für die Atmosphäre in der Stadt zu bekommen und schlichtweg Land und Leute kennen zu
lernen. Das ist wichtig für uns und unsere Arbeit. Denn wie hat es der chinesische Kriegsphilosoph Sun Tzu bereits vor über 2 500 Jahren sinngemäß ausgedrückt:
„Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten!“

Nach der etwas anderen Stadttour geht es direkt raus Richtung Osten, in die Wüste, an Orte wie das Ost-Tor von MeS. Vorbei an Verkehrsschildern, die einigen von uns das Fernweh in die Knochen treiben. Da stehen Orte wie Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan oder auch Hairatan, ganz im Norden am Amu-Darya Fluss nahe der tadschikischen Grenze gelegen geschrieben. Knapp vier Stunden sind wir unterwegs, dann meldet sich das Sitzfleisch. Genug für heute!

02. Oktober 2020, 18:00 Uhr Ortszeit MeS
Es duftet köstlich, denn unsere Sprachmittler kochen! Grund ist, am Vorabend des Tags der deutschen Einheit, der nahende Abschied von Erners (Mix aus Erik und Werner) Sprachmittler Sabi. Er gibt einen landestypischen Ausstand mit hausgemachten Köstlichkeiten wie: Palau, gebratener Aubergine an frischem Joghurt und frischem Salat, dazu herrlich duftendes Fladen Brot! Das Wasser läuft uns allen im Munde zusammen. Es ist ein rundum gelungener Abend in der Gemeinschaft bei kleinen Anekdoten aus Erners und Sabis gemeinsamer Zeit, die uns allen vor lauter Lachen die Tränen in die Augen treiben… uns bleibt nur zu sagen: Danke Sabi und Ilay, danke für Speiß und Trank und vor allem für die gute, gemeinsame Zeit!

07. Oktober 2020, 21:10 Uhr Ortszeit MeS
Heute ist es 19 Jahre her, dass die NATO, angeführt durch die USA, im Rahmen der Operation Enduring Freedom dem internationalen Terrorismus offiziell den Krieg erklärt. Heute vor 19 Jahren fliegen die ersten Kampfflugzeuge der NATO scharfe Einsätze über Afghanistan gegen strategisch wichtige Positionen der Taliban in der Provinz Kandahar sowie gegen Taliban-Ziele in den Großräumen der Städte Jalalabad und Kabul. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sagt unseren US-Partnern die uneingeschränkte Bündnissolidarität der Bundesrepublik zu. Kurz darauf beschließt der deutsche Bundestag die deutsche Beteiligung in Afghanistan – der Kampf- und Kriegseinsatz der Bundeswehr am Hindukusch beginnt. Nur einer von uns sechsen war damals bereits volljährig und Soldat – Freddy.

08. Oktober 2020, 12:10 Uhr Ortszeit MeS
Wir sind ganz in der Nähe von Camp Marmal unterwegs und erkunden An- und Abfahrtswege zu einem der zahlreichen Flüchtlingscamp in Mazar-e Sharif Stadt und Umgebung. Die Menschen hier, darunter unzählige Kinder, sind sogenannte Binnenflüchtlinge, Kriegsvertriebene. Die Vereinten Nationen bezifferten ihre Zahl für 2019 allein mit 426.000 Menschen. Die meisten stammen aus den nordostwärtigen Provinzen Afghanistans, die unverändert zum Verantwortungsbereich des Train, Advise, Assist Command North (TAAC N) zählen, in dem wir eingesetzt sind.
Mehrheitlich auf Grund des anhaltenden Kriegszustandes, aber auch hervorgerufen durch Naturkatastrophen haben sie sich auf den Weg gemacht Richtung Mazar-e Sharif. In Richtung der Stadt die für viele Afghanen immer noch landesweit Symbolkraft ausstrahlt, als bedeutendes überregionales Wirtschaftszentrum und als Zufluchtsort, der sich während des Taliban-Regime am längsten gegen die Schreckensherrschaft der selbsternannten „Gotteskrieger“ zur Wehr setzen konnte.
Wir sind beeindruckt von der Freundlichkeit und der Aufgeschlossenheit, welche die Menschen ausstrahlen. Ähnlich wie in Deutschland dürfen wir wegen CoVID leider keinen direkten Kontakt zu ihnen haben. Doch auch so und durch die ein oder andere Kleiderspende glimmt bei uns noch ein letzter Keim Hoffnung auf mit unserer Arbeit vielleicht auch für diese Menschen einen Unterschied erwirken zu können, sei er noch so kurzlebig.

04. November 2020, am späten Nachmittag in MeS
Die Post ist da! Und dieses Mal sind es keine Pakete der Familie oder selbst bestelltes von Amazon. Nein, es sind die Care-Pakete der Kameradschaft. Diese Unterstützung unserer Kameradschaft „von 6“ ist groß- und einzigartig – sie sucht bundeswehrweit ihres gleichen! Deshalb spreche ich stellvertretend für den Einsatzzug auch an dieser Stelle nochmals allen Beteiligten meinen aller herzlichsten Dank aus. Für die Pakete und vor allem Eure Beharrlichkeit und Ausdauer. Denn auch noch im 19. Einsatzjahr in Afghanistan seid ihr, unsere Kameradschaft, mit euren Angehörigen und Unterstützern noch immer in Gedanken bei uns Einsatzsoldaten. Hier zeigt sich, dass das „Gelbe Band“, welches wir vor Abflug mit auf den Weg bekommen haben nicht nur Symbolik darstellt, sondern uns wahrlich verbindet.

19. November 2020, 04:00 Uhr Ortszeit MeS
Der Alarmton dröhnt aus den Lautsprechern und weckt uns – EXERCISE, EXERCISE, EXERCISE! Infantriefeind greift an in Zugstärke. Als wir uns bereit machen und zur ersten Tor-Wache aus dem Unterkunftscontainer stürmen bemerken wir: nicht die in der Alarm-Übung dargestellten feindlichen Kämpfer vor den Lagermauern machen uns Probleme. Es sind winzig kleine weiße Flöckchen die uns plötzlich ausrutschen lassen und die zunächst mal eine größere Gefahr darstellen. Der erste Schnee ist da, Minusgrade inklusive. Neben beeindruckenden Bildern vom verschneiten Marmalgebirge und eisigen Fingern bedeutet das sich drehende Wetter für uns an diesem verschneiten Tag im November vor allem eins: der Winter ist da und das Einsatzende im Dezember rückt näher! Nach dem ein oder anderen „Kaugimmi-Tag“ der letzten Wochen, der einfach nicht enden wollte treibt uns dieses Zeichen der Wettergötter noch einmal an. Noch zwei Wochen Vollgas und dann werden auch wir endlich unsere Nachfolger im sogenannten PAX-Terminal in Empfang nehmen. Die Vorfreude auf Daheim wächst und hier und da schleicht sich auch mal ein fast schon episches Bild in unsere die Köpfe ein – nämlich eins vom Abflugtag, wenn vermutlich die letzten „6 von 6“ afghanischen Boden verlassen und vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen vielleicht ein letztes Mal aus dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan zurückkehren melden werden: Auftrag ausgeführt!

Das war unser Auslandseinsatz in Afghanistan, eingesetzt als deutscher Feldnachrichtenzug bei der Resolute Support Mission. Er war herausfordernd und aufregend, abwechslungsreich und immer wieder auch ernüchternd, so viel Ehrlichkeit sei an dieser Stelle erlaubt. Nichtsdestotrotz haben wir uns unbeirrt aller Widrigkeiten und Entscheidungsunfreude auf manch einer Seite voll und ganz unserem Auftrag verschrieben und wie so oft – das Beste daraus gemacht. Denn zu selbstständigem Handeln im Sinne des Auftrags sind wir Aufklärer schlichtweg erzogen!
In diesem Sinne Bedanken wir uns für Eure Unterstützung und verbleiben mit einem kräftigen Horrido!

Eure „6 von 6“

(Verfasst durch: H Cacic, ZgFhr Feldnachrichtenzug I in Mazar-e Sharif im November 2020)