Eindrücke aus dem 6. DEU EinsKtgt CD/CBI IRQ

Die Ausbildungsmission im Nordirak 2020

Sechs Sechser im Sechsten Deutschen Einsatzkontingent Nordirak. Was zunächst nach einem Vorpommernschen Zungenbrecher der Panzergrenadierbrigade 41 klingt, wurde im Januar dieses Jahres für insgesamt sechs Angehörige unseres Aufklärungsbataillons 6 HOLSTEIN zur Einsatzrealität. Als Teil des 6. Kontingents Deutsche Kräfte Counter Daesh (CD) / Capacity Building IRAQ (CBI) verlegten Hauptmann Hendrik Stahlschmidt, Hauptmann Stephan Biermann, Oberleutnant Oliver Radulovic, Oberleutnant Benjamin Koschewsky, Stabsfeldwebel Thorsten Hahn und Oberfeldwebel Dennis Scheel in die autonome Region Kurdistan, genauer nach Erbil.

Der Auftrag lautete die Ausbildung der kurdischen Sicherheitskräfte, im Schwerpunkt Führungspersonal und Ausbilder, zu unterstützen, um eine eigenständige und nachhaltige kurdische Ausbildung sicherzustellen und so zur Stabilisierung der durch den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) gebeutelten Region beizutragen. Beim Blick aus dem Flieger glaubte man zunächst nicht im Landeanflug auf eine Krisenregion zu sein. Die Landschaft war durch grüne Felder geprägt, das Stadtbild zeichnete sich durch hell erleuchtete Hochhäuser und einen regen Verkehrsbetrieb aus. Außerdem regnete es und war deutlich kälter als in unserem nur vier Stunden vorher verlassenen Deutschland. Die Vorstellung von braunen Sanddünen und Sonnenschein wurde enttäuscht, aber angesichts des Wetters vermittelten zumindest die nasskalten Windböen ein Stück ostholsteinische Heimat. Doch relativ schnell holte uns die Realität ein, dass nunmehr ein Realauftrag und eben kein Übungsplatz anstand. „Zügig das Gepäck aufnehmen, wir müssen schnell ins Lager. Und wählt euch bloß nicht ins W-LAN ein!“, sagte der Kontingentfeldwebel, als er uns vom Flughafen abholte. Von den örtlichen Nachrichtendiensten und deren Spionageversuchen ginge die höchste Gefahr für die deutschen Kräfte aus, so seine Aussage. Wenige Stunden nach Ankunft im deutschen Camp Stephan (benannt nach dem im Einsatz verstorbenen Kontingentführer Oberst Stephan Spöttler), nachdem das sogenannte Inprocessing abgeschlossen war, waren wir dann einquartiert, belehrt und soweit ausgestattet, dass wir unseren Auftrag wahrnehmen konnten. Der Einsatz konnte beginnen, doch was sollte das für ein Einsatz werden? Kein Afghanistan, so viel stand frühzeitig fest. Die Bedrohungslage war, trotz vereinzelter Raketenangriffe, spürbar entspannter. Doch gänzlich gefahrlos war es dann eben auch nicht. Die Wahrheit liegt wie so häufig, irgendwo dazwischen.
Zur Durchführung unseres Auftrages verlegten wir mit einem sogenannten Mobile Training Team Leadership (MTT LdrShp), bestehend aus fünf Soldaten und einem Mobile Training Team ABC-Abwehr (MTT ABC), bestehend aus zwei bis vier Soldaten, bereits vier Tage nach unserer Ankunft täglich vom Multinationalen Camp Erbil in das eine halbe Stunde entfernte Bnslawa. Dort befand sich das Zerevani Tiger Trainingcamp, eines der zahlreichen Ausbildungszentren der kurdischen Sicherheitskräfte. Gemeinsam mit den Koalitionspartnern aus Finnland, Italien und Slowenien fand dort der deutsche Anteil der Ausbildung der kurdischen Soldaten statt. Nach anfänglichem Lost in Translation nahm die Ausbildung zügig Fahrt auf. Ein turnusmäßiger Ausbildungsdurchgang dauerte insgesamt sechs Wochen, in denen jeweils ein kurdischer Verband geschlossen ausgebildet wurde, sowohl auf der Ebene der Einzelschützen, als auch derer der Kompaniechefs bis hin zur Ebene des Bataillonskommandeurs und seines Stabes. Zusätzlich führten kurdische Ausbilder unter Anleitung der internationalen Mentoren spezielle Kurse in den Bereichen C-IED, Schießausbildung, Einsatzersthelfer und ABC- Abwehr durch.
Dabei übernahm das rein deutsche MTT ABC die Federführung für den Kurs ABC- Abwehr. Unabhängig von den Durchgängen der kurdischen Verbände bildete das deutsche MTT LdrShp die Ausbilder und die Ausbilder der Ausbilder des Ausbildungszentrums der kurdischen Sicherheitskräfte aus. Dies war nicht nur der Schwerpunkt des deutschen Engagements, sondern auch der Schwerpunkt der internationalen Koalition. Getreu T.E. Lawrence: „Do not try to do too much with your own hands. Better the Arabs do it tolerably than you do it perfectly. It is their war, and you are to help them, not to win it for them“. Mit diesem Unterfangen gingen einige Herausforderungen einher. So verfügten die kurdischen Sicherheitskräfte nur über je einen Satz Uniform pro Soldat. Bei schlechtem Wetter führte dies unweigerlich dazu, dass die Auszubildenden während des Gefechtsdienstes nicht in Stellung gingen. Es mangelte schlicht an einem Wechselanzug. Doch was an einer Stelle zu wenig war, war an der Anderen zu viel. So beispielsweise bei den verfügbaren Handwaffen. Die kurdischen Sicherheitskräfte verfügten nicht etwa über eins, sondern mit dem AK47, dem G3, dem G36 und dem M16 gleich über vier verschiedene „Standardgewehre“. Die benötigte Ausbildungszeit allein im Bereich der Handwaffenausbildung musste somit vervierfacht werden, da auf die Vergabe der jeweiligen Waffen selbst durch die Koalitionskräfte kein Einfluss genommen werden konnte. Auch die kurdischen Arbeitsverträge brachten die ein oder andere Hürde mit sich. So sieht der Standardvertrag eines durchschnittlichen Soldaten vor, dass er eine Woche dient und eine Woche frei hat. Das klingt zwar nach einer sehr attraktiven Personalmaßnahme, oder schlicht nach den Auswirkungen der EU-AZR.

Nur leider zahlt der irakische Staat so schlecht, dass die
Soldaten darauf angewiesen sind in ihrer dienstbefreiten Woche einer weiteren Arbeit nachzugehen. Da der Lehrgang am Ausbildungszentrum nur mit der durchgehenden Teilnahme bestanden
werden konnte, fiel den Soldaten für diesen Zeitraum die Hälfte des jeweiligen Monatseinkommens buchstäblich weg. Ungeachtet all dieser Widrigkeiten waren die kurdischen Auszubildenden stets hoch motiviert und wussten mit kreativen Lösungen aufzuwarten. Sie verstanden die Ausbildung Made by Germany als persönliche Chance und trugen das nach erfolgreich bestandenem Lehrgang verliehene Abzeichen mit Stolz. Dies spornte die deutschen Ausbilder an auch teilweise bis in die späten Nachtstunden die Ausbildungen vorzubereiten und hochwertige, auf die Zielgruppe abgestimmte, Ausbildungen durchzuführen. Wie im Inland bewährte sich auch im Ausland das deutsche V-E-N-Ü- Prinzip und das trotz des Umweges in der Kommunikation über den Sprachmittler. Darüber hinaus bildeten wir uns stets selbst weiter. Kein Soldat verbringt gerne eine Stunde im Overgarment bei 35 Grad in der prallen Sonne und durchläuft dabei auch noch einen behelfsmäßigen Dekontaminationsplatz. Aber vor dem Hintergrund der iranischen Bedrohung hatte jeder unserer Soldaten Verständnis für die Ausbildung. Kontinuierlich verbesserten wir als MTTs und somit als diejenigen die tagtäglich auch außerhalb der Bluezone unterwegs waren, unsere Fähigkeiten in der Selbst- und Kameradenhilfe und verfeinerten die Standardverfahren in Notsituationen wie z.B. das Verhalten im Hinterhalt, Ausbooten vom Fahrzeug oder aber das Lösen vom Feind.
Der Auslandseinsatz war ursprünglich für sechs Monate geplant.
Zwischenzeitlich gab es sogar Vorabfragen, ob wir auch auf acht Monate verlängern könnten. Doch dann kam, wie auch im Rest der Welt im Jahr 2020, alles anders. Nachdem es anfangs noch danach aussah, dass der COVID-19 Erreger ein Problem der großen Industrienationen sei, zeichneten sich spätestens mit Beginn des Monats März auch im Irak mehr und mehr die Anfänge einer Pandemie ab.
Nach einigem hin und her zwischen Einsatzführungskommando und dem Führer deutsche Kräfte Irak, wurde kurzerhand
entschieden, dass das deutsche Einsatzkontingent bis zum 1. April auf ein operatives Minimum reduziert wird. Wir als deutsche Ausbilder verlegten somit am 29. März nach Deutschland zurück.
Mitten im laufenden Lehrgang halb ausgebildete Soldaten zurückzulassen, führte bei nahezu allen Beteiligten zu großer Enttäuschung, schien doch augenscheinlich die Ausbildung an der ein oder anderen Stelle vielversprechendes Potential für die zukünftige Entwicklung der kurdischen Soldaten zu zeigen. Gerne hätten wir die Sicherheitskräfte vor Ort weiter ausgebildet und diese dabei begleitet, wie sie auf eigenen Beinen zu stehen beginnen, doch leider war uns dies nicht vergönnt. Dennoch war es für unser Team eine spannende und intensive Zeit, die keiner von uns als Erfahrung missen möchte. Mittlerweile hat das 7. deutsche Einsatzkontingent übernommen. Wie genau sich das Engagement fortsetzen wird und wohin sich die kurdischen Sicherheitskräfte entwickeln werden, wird die Zukunft zeigen. Eine Zukunft, die wir voller Erwartungen auch aus der Ferne weiter mitverfolgen werden.

H Stahlschmidt und H Radulovic