Als ich am 23. September 2009 in Kunduz landete, um die Aufgabe des Kommandeurs des PRT Kunduz zu übernehmen, war die Aufklärungskompanie aus dem Aufklärungsbataillon 6 bereits eingetroffen. Und sie war immer noch im Einsatz als ich am 31. März 2010 nach Abgabe des Kommandos wieder ausflog. Dazwischen lag eine in mehrfacher Hinsicht besondere Zeit, in der diese Kompanie aus Sicht des Kommandeurs eine ganz besondere Leistung erbracht hat. Ganz zu Anfang ist dabei die Dauer des Einsatzes zu nennen.

GenMaj Rohrschneider, hier als Oberst und Kdr PRT KDZ

In einer Zeit, wo die Masse der Soldaten für vier Monate in den Einsatz ging, konnte ich intensiv nachempfinden, wie sich die Angehörigen der Aufklärungskompanie gefühlt haben müssen, wenn um sie herum die Kontingente wechselten. Beeindruckend war die dennoch ungebrochene Motivation und Leistungsfähigkeit der Kompanie über den gesamten Zeitraum. Ich halte das für keine geringe Leistung, ganz im Gegenteil wurde hier ein besonderes Beispiel für hervorragendes soldatisches Dienen gegeben, weshalb ich mich freue, die Gelegenheit zu erhalten, aus meiner Sicht etwas über die Aufklärungskompanie PRT Kunduz im 21./22. Kontingent zu schreiben.
In meinem ersten Afghanistan hatte ich im Juli 2006 mit dem Panzerbataillon 393 bereits das Aufklärungsbataillon 6 in Kunduz abgelöst. Insofern war es quasi die Erneuerung einer alten Bekanntschaft, als ich den Aufklärern aus Eutin nun in 2009 wieder begegnete. Auch wenn die Aufklärer 2006 schon die wohl erste richtige Gefechtshandlung in Kunduz hatten, eine Erfahrung, die meine Panzersoldaten anschließend mehrfach wiederholen sollten, sah es in Kunduz 2009 doch völlig anders und militärisch erheblich kritischer aus. Der Bewegungsraum des PRT war im Sommer durch den Gegner immer enger eingeschnürt worden. Zu den Wahlen im August hatte die Taliban offensichtlich einen sichtbaren militärischen Erfolg in Kunduz angestrebt. Der Luftangriff am 4. September war in meinen Augen aus dem Nachhinein fraglos zweckmäßig. Viel wichtiger war, daß er das PRT aus einer militärischen Krisenlage befreit hatte, was man ansonsten auch immer über die anderen, vielfältigen Aspekte dieser Aktion sagen mag. In der Folge sollte das PRT über den Jahreswechsel 2009-2010 mit drei Infanteriekompanien und der Schutzkompanie auf eine Kampfkraft gebracht werden, die später von der Bundeswehr nie wieder dauerhaft in Kunduz konzentriert werden sollte. Das erlaubte es dem 21./22. Kontingent, über den Winter den zugänglichen Raum auch gegen den Widerstand der Taliban wieder deutlich zu erweitern, dauerhaft besetzte Outpost einzurichten und auch die afghanische Polizei und Armee, soweit verfügbar und willens, in die Fläche zu bringen.
Es stellte sich natürlich die Frage, was eine Aufklärungskompanie tun soll, wenn der taktische Einsatzschwerpunkt im abgesessenen Vorgehen und dauerhafter Sicherung von Raum lag? Glücklicherweise hatte die Aufklärungskompanie mit ihrem Kompaniechef Hauptmann Björn Treuschel selbst genaue Vorstellungen, was sie leisten konnte und wollte. Und diese Vorstellungen füllten meinen Bedarf geradezu ideal aus: Mit Spähtrupps den Bewegungsraum des PRT außerhalb des engeren Einsatzraums der Infanteriekompanien zu erweitern, ein Lagebild in diesen Räumen herzustellen und dabei großräumige Bewegungslinien des Gegners aufzuklären. Dieser Auftrag bot viel, was sich Aufklärer – zumindest in der Vorstellung eines Panzeroffiziers wie ich – wohl ersehnen: Unabhängiger, auf sich gestellter Einsatz, weit ab von Vorgesetzten und nur hinsichtlich des Ergebnisses verantwortlich. Anders als die Fallschirmjäger, Jäger und Panzergrenadiere des Kontingents, die vor allem in Chahar Darreh fast in Sichtweite des PRT operierten, kamen die Aufklärer quasi an jeden Ort der Provinz, in die Distrikte Imam Sahib, Khanabad, Aliabad und Qal-il-Zal. Dies trug zum Erfolg des PRT zu dieser Zeit mehr bei, als man vielleicht auf den ersten Blick annehmen möchte. Nicht nur füllte sich die Lagekarte des PRT mit wichtigen Erkenntnissen zu den Aufständischen, es half auch sehr, trotz der Konzentration der Kräfte auf Chahar Darreh den Anspruch des PRT auf die Kontrolle der gesamten Provinz deutlich zu machen.

Natürlich war dieser Auftrag nicht nur ein spannendes Abenteuer, sondern gefährlich. Und er war um so gefährlicher, desto unabhängiger und auf sich gestellter die Durchführung erfolgte. Beschuß der Spähtrupps kam öfters vor, bekam aber nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie Gefechte der Infanterie, so muß ich gestehen, weil man es im Grunde aus der Distanz weniger mitbekam und häufig gar nur im nachhinein. Eingreifen hätte das PRT zumeist ohnehin nicht können. Es entwickelte sich daraus aber zumindest aus Sicht des Kommandeurs ein besonderes, emotionales Verhältnis zu den Soldaten, die ihren Auftrag so auszuführen hatten. Die Verläßlichkeit und das Können meiner Aufklärer beruhigten die Sorgen, die man immer hatte, wenn sie draußen unterwegs waren. Da fiel es einem auch leicht, darüber hinwegzusehen, daß die Spähtrupps im Anzug manchmal an zurückkehrende Himalayaexpeditionen erinnerten – aber vielleicht ist der Vergleich sogar im übertragenen Sinn sehr passend.
Häufig sah ich die Spähtrupps im Gelände sowieso nicht, obwohl sie mitunter längere Fahrten begleiteten, die ich in der Provinz unternahm. Ich fragte mich dann, ob die Soldaten diese Sicherung und Überwachung für ihren Kommandeur als überzogen betrachteten. Mein Personenschutzkommando war aber definitiv sehr froh über diese unsichtbare Anwesenheit und ich selbst fühlte mich auch deutlich wohler. Die weiteste dieser Fahrten ging nach Qal-il-Zal bis an einen recht einsamen afghanischen Grenzposten am Amudarja, den Fluß der die Grenze zu Tadschikistan bildet. Dort fand ein Treffen mit einem Milizenführer statt. Bei afghanischen Offiziellen löste diese Fahrt große Sorge aus, wie ich es wagen konnte, mit nur drei geschützten Geländewagen und kleinem Team dorthin zu fahren. Vielleicht stieg ich ob meines Mutes, eine solche Verbindungsaufnahme zu unternehmen, sogar in ihrem Ansehen. Es war natürlich kein besonderer Mut auf meiner Seite vorhanden, dafür begleitete die Aufklärungskompanie großräumig die Fahrt. Letztlich völlig sicher war man dadurch zwar auch nicht, aber es war ein sehr gutes Gefühl.
Für die Anspannung, unter der die Soldaten draußen standen, verhielten sich die Aufklärer aus Eutin im Lager bemerkenswert diszipliniert. Das dürfte viel mit dem Spieß, Stabsfeldwebel Uhl zu tun gehabt haben und wie er den Innendienst handhabte. Für einen Kommandeur ist das immer eine große Erleichterung, wenn dieser Teil des Einsatzlebens so leise und glatt läuft. Ich kann mich an keine echten Probleme erinnern, die an mich zur Lösung herangetragen worden wären. Herausforderungen beschränkten sich auf Dinge wie die Anpassung von Öffnungszeiten der Lagereinrichtungen an die Rückkehrzeiten ins Lager, als jemand die Idee hatte, etwas mehr Routinezeiten aus der Heimat auch im Feldlager Kunduz einzuführen. Dinge, die sich glücklicherweise recht einfach regeln ließen.
Auch wenn sich die Operationen des PRT um Geländepunkte wie die Höhen 431 und 432, die Polizeistation Chahar Darreh, den Ausbau einer Furt für Schützenpanzer an der Kunduzbrücke und den Übergang bei Rahmat Bey drehten, war die Aufklärungskompanie stets dabei, zwar nicht unmittelbar an diesen Orten, aber durch einen weiträumigen Aufklärungsschleier darum und hat dadurch ganz entscheidend zum Gesamterfolg der Operationen beigetragen. Mit großem und gerechtfertigtem Waffenstolz hat sich die Kompanie doch hervorragend in die Gemeinschaft integriert und wurde wiederum sehr anerkannt. Ich persönlich habe mich in jedem Moment, in dem ich bei der Kompanie war, sehr wohl und kameradschaftlich unterstützt gefühlt. Daß der Kompanie bei ihren Aufklärungseinsätzen mitunter das Glück hold war, illustriert sehr treffend die Feststellung von Helmuth von Moltke d. Ä., die er wert fand, in die zentrale Führungsvorschrift des preußischen Heeres aufgenommen zu werden:

„Glück hat auf die Dauer doch zumeist wohl nur der Tüchtige.“

Eine in diesem Sinne ungemein tüchtige Truppe von exzellenten Soldaten, so bleibt mir die Aufklärungskompanie vom Aufklärungsbataillon 6 des PRT Kunduz im Gedächtnis.

 

GenMaj Kai Ronald Rohrschneider MNKdoOpFü / MN JHQ ULM